EGMR stoppt Dublin II-Abschiebung nach Griechenland

Letzte Woche hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Dublin II-Abschiebung aus Österreich nach Griechenland durch eine einstweilige Verfügung gestoppt und damit ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht im September 2009 entschieden.

Der Standard berichtet weiter:

Eine “Reihe von anderen Staaten” habe bereits ebenfalls Mitteilungen des EGMR bekommen – es gehe dabei immer um Abschiebungen nach Griechenland. Generelle Auswirkungen habe die aktuelle Maßnahme aus Straßburg nicht, da jeder Fall einzeln geprüft wird.

Außerdem gibt es noch Zahlen zu berichten:

Vom Bundesasylamt wurden im Vorjahr insgesamt 7.900 Dublin-Fälle geprüft. Bei 5.464 handelte es sich um sogenannte Dublin Out-Verfahren (für das Asylverfahren ist ein anderer Staat zuständig). 2.436 Fälle waren Dublin In-Verfahren (in diesem Fall ist Österreich zuständig). Im Jahr 2009 fanden laut Angaben des Innenministeriums 1.424 Überstellungen statt. In den ersten drei Monaten 2010 waren es 438. Die meisten Dublin-Verfahren seien mit den Ländern Polen, Ungarn, Griechenland und Italien zu führen.

Email- und Fax-Kampagne!

Das Bundesinnenministerium (BMI) in Berlin trägt die politische Verantwortung für die Dublin-Abschiebungen, denn von hier kommen die zentralen Weisungen. Was hier entschieden wird, setzen Bundesamt und Bundespolizei um. Hauptverantwortlich sind somit Bundesinnenminister Thomas de Maizière und der zuständige Staatssekretäre Ole Schröder. Das Nürnberger Bundesamt für Migration führt die Oberaufsicht über Dublin II und bearbeitet Fälle mit grundsätzlicher Bedeutung. Verantwortlich sind hier einerseits der Bundesamtseiter Albert Schmid, aber auch die Dublin-Referatsleiterin Iris Escherle. Die konkreten Übernahmeersuchen organisiert in der Dortmunder Außenstelle das Referat 431 unter seinem Leiter Axel Christof, der als Hardliner bekannt ist. In einer Email- und Faxkampagne wollen wir diesen fünf maßgeblichen Personen in den nächsten Wochen möglichst nachhaltig deutlich machen, dass wir die Dublin II-Abschiebung insbesondere nach Griechenland nicht widerspruchslos hinnehmen und sie zur sofortigen Aufgabe dieser von ihnen zu verantwortenden Praxis auffordern. Dazu haben wir auf der Kampagnenwebseite zwei Beispiele vorformuliert, die ihre jeweiligen Ämter und Funktionen berücksichtigt. Wir bitten alle, sich ein wenig Zeit zu nehmen, und sich mit diesen Beispielen oder besser noch eigenen Schreiben an der Kampagne zu beteiligen. Anbei die jeweiligen Faxnummern und Emailadressen:

  • Thomas de Maizière: Telefax 030/22776626, Email thomas.demaiziere@bundestag.de
  • Ole Schröder: Telefax 04101/585378, Email ole.schroeder@wk.bundestag.de
  • Albert Schmid: Telefax 0911/9431000, Email albert.schmid@bamf.bund.de
  • Iris Escherle: Telefax 0911/9438095, Email iris.escherle@bamf.bund.de
  • Axel Christof: Telefax: 0231/9058199, Email axel.christof@bamf.bund.de

Beispielbriefe: Bundesinnenministerium und Bundesamt

Bundesregierung bleibt uneinsichtig

Aus einer kleinen Anfrage (pdf) der Linksfraktion im Deutschen Bundestag und der Antwort der Bundesregierung geht hervor, dass die Bundesregierung weiter nicht beabsichtigt, die Dublin II-Abschiebungen nach Griechenland auszusetzen. Hier ein paar Auszüge:

4. Wie viele Asylverfahren waren Ende 2009 in Griechenland anhängig und noch nicht entschieden, und wie hoch war die Anerkennungsquote im Jahr 2009 in Griechenland (bitte jeweils auch nach den verschiedenen Entscheidungsinstanzen unterscheiden und gegebenenfalls Angaben zu anderen Zeiträumen machen, soweit diese vorliegen)?

Nach Angaben des Ministeriums für Bürgerschutz in Athen wurden im Jahr 2009 12 727 neue Asylanträge gestellt. In der ersten Instanz sind 29 501 Anträge bearbeitet worden; darunter sind auch 2008 gestellte Asylanträge. In der zweiten Instanz sind 12 095 Anträge neu gestellt und 870 bearbeitet worden. Als „unerledigt“ sind in der ersten Instanz 3 122 Fälle ausgewiesen, in der zweiten Instanz 45 079 Fälle. Die Anerkennungsquote in der ersten Instanz betrug 0,09 Prozent, zusätzlich wurde in 0,31 Prozent der Fälle humanitärer Schutz gewährt. In der zweiten Instanz wurden in 2,87 Prozent der Anträge Asyl gewährt, zusätzlich ist in 1,26 Prozent der Fälle humanitärer Schutz gewährt worden.

5. Wie begründet die Bundesregierung ihre Hoffnung auf Verbesserungen im griechischen Asylsystem (vgl. Bundestagsdrucksache 16/14149, Frage 29), z. B. infolge der Änderungen des griechischen Asylsystems vom Sommer 2009 (u. a. Dezentralisierung) angesichts des Umstands, dass der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) in einer Pressemitteilung vom 15. Mai 2009 erklärte, dass gerade diese Änderungen die Unabhängigkeit und Objektivität der zweiten Instanz gefährden und damit unter anderem die einheitliche Anwendung der Genfer Konvention und internationalen und europäischen Rechts und ein faires Verfahren „aufs Spiel“ gesetzt würden?

Die Bundesregierung geht davon aus, dass die griechische Regierung die erforderlichen Schritte unternimmt, um Probleme im griechischen Asylsystem zu beseitigen – sowohl in Bezug auf gesetzgeberische Maßnahmen zur Reform des Asylrechts als auch auf praktische Maßnahmen in der Verwaltung. Zur Dezentralisierung des Asylverfahrens durch den Präsidialerlass vom Sommer 2009 hat die Bundesregierung in ihrer Antwort zu Frage 29 der Kleinen Anfrage in Bundestagsdrucksache 16/14149 darauf hingewiesen, dass es noch zu früh sei, Aussagen über Auswirkungen des neuen Verfahrens zu treffen; im übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen.

9. Ist es zutreffend, dass der UNHCR seit April 2008 einen generellen Stopp von Überstellungen nach Griechenland fordert, und wie weit geht diese Forderung in die Überlegungen der Bundesregierung ein (bitte begründen)?

Der Bundesregierung ist bekannt, dass der UNHCR befürwortet, keine Überstellungen von Asylbewerbern gemäß der Dublin-Verordnung nach Griechenland durchzuführen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 2 der Kleinen Anfrage in Bundestagsdrucksache 16/14149 verwiesen.

10. Ist es zutreffend, dass der UNHCR sich seit Juni 2009 nicht mehr am griechischen Asylsystem beteiligt, und geht die Bundesregierung damit ebenfalls nicht mehr davon aus, dass der Zugang zum Asylverfahren „grundsätzlich“ gegeben sei, wie der UNHCR in früheren Stellungnahmen geschrieben hatte?

Nach Kenntnis der Bundesregierung trifft es zu, dass der UNHCR seine Beteiligung am griechischen Asylsystem eingestellt hat, er wirkt allerdings weiterhin an der Ausbildung von zusätzlichen Befragern mit. In die aktuelle Diskussion zur Reform des griechischen Asylsystems ist der UNHCR eingebunden.

Die Bundesregierung ist weiter der Auffassung, dass Asylbewerber, die nach der Dublin-Verordnung von Deutschland nach Griechenland überstellt werden, grundsätzlich Zugang zu einem Asylverfahren haben.

Weiter liefert die Antwort der Bundesregierung Statistiken. Im Januar und Februar 2010 hat Deutschland demnach 420 Rückübernahmeersuchen an Griechenland gerichtet, von denen 312 positiv beschieden worden sind. Dem stehen 257 Fälle der Ausübung des Selbsteintrittrechts entgegen, woraus hervorgeht, dass Deutschland weiter aktiv darum bemüht ist, Dublin II-Abschiebungen nach Griechenland durchzuführen. Dies scheint jedoch mittlerweile praktisch unmöglich zu sein, stehen den 312 positiven Rückübernahmeersuchen doch lediglich sieben vollzogene Abschiebungen gegenüber. Leider gibt die Statistik keine Ursache für das Scheitern der restlichen 305 Abschiebungen, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass in den meisten Fällen Rechtsmittel eingelegt wurden. Aus der Statistik geht hervor, dass es 2010 schon 66 Entscheidungen von Gerichten gegen eine Dublin II-Abschiebung nach Griechenland gab, während lediglich 18 Mal die Abschiebung erlaubt wurde. Damit stellt sich die Bundesregierung mit ihrer Haltung gegen die Mehrheit der deutschen Gerichtsentscheidungen.

Währenddessen besuchten AktivistInnen am 13. April 2010 eine Veranstaltung des parlamentarischen Staatssekretärs im Innenministerium Ole Schröder (CDU). Er ist dort für den Bereich “Migration und Integration” zuständig ist, welcher Dublin II miteinschließt. Er ist damit persönlich an der Formulierung der harten Haltung der Bundesregierung beteiligt, wollte sich jedoch auf der Veranstaltung der Diskussion nicht stellen.

Zwei neue Texte

Kurzer Hinweis auf zwei neue Texte.

Das EU-Büro von Amnesty International hat einen Bericht zur Situation von Flüchtlingen in Griechenland veröffentlicht: Flüchtlinge werden in Griechenland teilweise unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten, sie haben keinerlei Chancen auf ein faires Asylverfahren und sind in Gefahr, in Länder abgeschoben zu werden, in denen ihnen Folter und Verfolgung drohen. Amnesty kritisierte anlässlich der Veröffentlichung, dass Deutschland im Rahmen der Dublin-II-Verordnung trotzdem Asylsuchende nach Griechenland zurückschiebt, obwohl die Situation bekannt ist und das Bundesverfassungsgericht derlei Rückführungen bereits mehrfach vorläufig gestoppt hat.

Im Hinterland Magazin ist ein Artikel zur Problematik des Dublin II-Verordnung von Dominik Bender erschienen.

Kampagnenzeitung Über die Grenze

Zum Auftakt der Kampagne haben wir eine Zeitung erstellt, die die Problematik der Dublin II-Regulation anhand der Situation in Griechenland darstellt. Ebenso beleuchtet werden jedoch das Sterben im Mittelmeer, Einzelschicksale und Ausblicke auf 2010.

Die Zeitung ist in einer Auflage von 10.000 Stück gedruckt worden und kann unter folgender Emailadresse bestellt werden: kampagne [at] dublin2 [punkt] info. Die Zeitung eignet sich zum Auslegen, aber kann auch gerne bei lokalen Aktionen eingesetzt werden.

Kampagnenzeitung Über die Grenze – Dublin II, Flucht und Abschiebung in einem Europa der Grenzen als .pdf herunterladen (857kb)

Inhaltsverzeichnis und alle Texte der Zeitung

Seite 1 Seite 2
Seite 3 Seite 4

Kampagne gegen Dublin-II-Abschiebungen nach Griechenland

Die aktuelle Situation erscheint uns den Versuch wert, mit einer mehrmonatigen Kampagne einem Grundpfeiler der EU-Flüchtlingspolitik auf die Pelle zu rücken: der Dublin II-Verordnung und hier zunächst den Abschiebungen von Deutschland nach Griechenland. Wir sehen eine reale Chance, das Bundesinnenministerium (BMI) mit einer inhaltlich wie praktisch gut vorbereiteten und breiter getragenen Kampagne in die Defensive zu drängen oder sogar die Aussetzung der Abschiebungen nach Griechenland zu erzwingen. Mitte/Ende März wollen wir mit koordinierten Aktivitäten beginnen. Bis dahin sind eine Massenzeitung und Plakate gedruckt, nicht zuletzt um auf lokaler Ebene Öffentlichkeit herzustellen. Ende März sollen eine Email- und Faxkampagne anschließen, kombiniert mit ersten dezentralen Protestaktionen. Wir hoffen, dass die folgenden Argumente soweit überzeugen, dass viele Gruppen und Initiativen mitziehen. Und wir bitten um kurze Rückmeldung, wer Interesse hat und mitwirken möchte, wer z.B. Zeitungen verteilen oder zu der Thematik im März, April oder Mai Veranstaltungen organisieren will.

Am 27. und 28. März findet ein bundesweites Treffen statt, in dem – neben der Beteiligung an weiteren Aktivitäten in Griechenland – die Kampagne gegen Dublin II der Schwerpunkt sein wird. Dort sollen dann auch die (weiteren) gemeinsamen Schritte für das Frühjahr abgesprochen werden.

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Zum Hintergrund des Kampagnenvorschlags

Ausgangspunkt ist zunächst eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit zu Griechenland, die bereits 2007 von Pro Asyl initiiert und kontinuierlich fortgesetzt wurde und die mit dem Nobordercamp auf Lesbos und den Bildern aus dem Internierungslager Pagani im letzten Jahr weitere Dynamik gewonnen hat. Nachdem bereits seit 2008 immer wieder Gerichte Abschiebungen nach Griechenland gestoppt hatten, hat ab September 2009 auch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in mittlerweile neun Fällen die vorläufige Aussetzungen bestimmt. Frühestens im Sommer 2010 ist mit einer grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen. Das BMI hält weiterhin mit Zähnen und Klauen an den Abschiebungen nach Griechenland fest. Denn wenn es gelingt, die Abschiebungspraxis in dieses – für die Vorverlagerung der Migrationskontrolle zur Zeit bedeutendste EU-Land an der südlichen Außengrenze – zu Fall zu bringen, gerät das gesamte Dublin-System in Frage. Das BMI hat unlängst die Landesinnenministerien davor gewarnt, den Vollzug der Abschiebungsbescheide des Bundesamtes auszusetzen, so wie Bayern und Baden-Württemberg dies bereits getan haben. Die z.T. höchstrichterlichen Entscheidungen seien als „Einzelfälle“ zu betrachten.

Griechenland hatte 2009 Polen als Zielland Nr. 1 für Dublin-II-Rückschiebungen abgelöst. Fast 25 % der Überstellungsersuchen wurden 2009 an Griechenland gerichtet. Mittlerweile steht der Apparat zwar weitgehend still. Wer sich als Betroffener einen guten Anwalt leisten kann, braucht momentan kaum zu befürchten, nach Griechenland zurückgeschoben zu werden. Gleichwohl bleiben diejenigen gefährdet, die in Haft sind oder sich keinen Anwalt nehmen können. Bundespolizei und Behörden haben weiterhin den rechtlichen Spielraum, Rückschiebungen zu vollziehen und Haft zu verhängen. Zudem verlängert sich durch den Zwang, in jedem Einzelfall per Eilantrag gerichtlich vorzugehen, die Überstellungsfrist um sechs Monate und damit die Möglichkeit, die Abschiebungsdrohung aufrechtzuerhalten.

Eine offizielle Aussetzung der Abschungen nach Griechenland würde alle Flüchtlinge, die durch Griechenland eingereist sind, endgültig vor Rückschiebungen schützen. Auf europäischer Ebene hätte dies eine Signalwirkung, denn auch in einigen anderen EU-Ländern wackeln die Dublin-II-Abschiebungen nach Griechenland. Die aktuelle Entwicklung in Griechenland dürfte dazu beitragen, die brutale Sturheit des BMI öffentlich skandalisierbar zu machen. Zwar hat die neue griechische Regierung diverse Reformen versprochen, doch selbst wenn diese Pläne in den nächsten Monaten in neue Gesetze und Verordnungen münden, werden diese auf lange Zeit die katastrophale Lage in Griechenland nicht ändern. Bis die nötige Infrastruktur zur Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen geschaffen ist, werden noch Jahre vergehen, zumal sich der griechische Staat am Bankrott entlang hangelt. Währenddessen setzt die Europäische Union auf weitere Vorverlagerung und Repression, um Flüchtlinge daran zu hindern, überhaupt Griechenland zu erreichen. Die Türkei als zentrales Transitland soll unmittelbar in die Migrationskontrolle eingebunden werden und in Griechenland wird in diesem Jahr die bislang größte Frontex-Operation starten. Die Situation wird absehbar erneut und weiter eskalieren, wenn im Frühjahr dennoch wieder Tausende in die Boote steigen, um auf die griechischen Inseln zu gelangen. So wichtig die Unterstützung der Flüchtlinge auf dem Weg nach und in Griechenland ist, so entscheidend ist gleichzeitig, dass sie sich innerhalb der EU weiter durchschlagen können.

Die Praxis der Dublin-II-Abschiebungen in Deutschland, der treibenden Kraft der Vorverlagerungspolitik, weiter zurück zu drängen oder gar ganz auszuhebeln, erscheint uns insofern als eine vorrangige Aufgabe. Denn einerseits würden gerade wegen der zentralen Stellung Deutschlands andere Mitgliedsstaaten folgen und damit das Dublin II-System weiter erschüttern, andererseits ist die Situation der Flüchtlinge ein Resultat europäischer, nicht griechischer Politik, weswegen wir alle aufgefordert sind, uns für eine schnelle Änderung einzusetzen.

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