Ungarn inhaftiert systematisch Asylsuchende – darunter auch Minderjährige!

Flüchtlinge aus Deutschland werden dennoch weiter dorthin abgeschoben

 

Flüchtlingsgefängnis in Ungarn„No refugees in orbit“ war ein zentraler Anspruch der sogenannten Dublin II-Verordnung, die die Zuständigkeit in Asylverfahren regelt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Immer mehr – auch minderjährige – Flüchtlinge irren nach ihrer vermeintlich sicheren Ankunft in einem europäischen Erstaufnahmestaat noch monate- bis jahrelang durch unterschiedliche europäische Länder auf der Suche nach einem Staat, der ihre Rechte anerkennt und in dem ein menschenwürdiges Leben möglich erscheint. Die Erstregistrierung in den östlichen und südlichen EU-Ländern wird vielen Flüchtlingen zum Verhängnis. Was Anfang des Jahres in Bezug auf Griechenland ausgesetzt wurde, gilt trotz ähnlich unhaltbarer Bedingungen unverändert für Italien, Malta oder auch für Ungarn: es droht die Abschiebung in den jeweiligen europäischen Erstaufnahmestaat.

 

„Europaweit beobachten wir ein erschreckendes Phänomen: minderjährige Flüchtlinge, die ihre Flucht innerhalb Europas fortsetzen müssen. Aus Angst vor der Abschiebung in europäische Länder, in denen ihre Kinderrechte mit den Füßen getreten werden. Niemand fühlt sich für die jungen Menschen zuständig, sie werden von Staat zu Staat hin und hergeschoben,“ so Niels Espenhorst, Referent des Bundesfachverbands Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge.

Ungarn ist eines der klassischen Transitländer. Hier treffen sich die Wege derer, die über die Ukraine nach Westeuropa einzureisen versuchen, mit denen, deren Weiterflucht aus Griechenland sie über den Balkan hierherführte. Kaum einer will in Ungarn bleiben, zu dramatisch sind die Erfahrungen in den dortigen Flüchtlingsgefängnissen und Internierungslagern, zu dramatisch die Lebenssituation selbst anerkannter Flüchtlinge. Obdachlosigkeit, Erwerbslosigkeit, fehlende Möglichkeiten des Familiennachzugs, fehlende Bildungsmöglichkeiten und nicht ausreichenden staatlichen Leistungen zur Existenzsicherung bestimmen den Alltag.

 

Die ungarischen Behörden inhaftieren – nahezu ausnahmslos – alle Asylsuchenden. Und das trifft nicht zuletzt auch diejenigen, die als Asylbewerber aufgrund des Dublin II-Abkommens aus Deutschland oder anderen europäischen Ländern dorthin zurückgeschoben werden. Im Asylgesetzentwurf von Ende 2010 wurde die zunächst vorgesehene „reguläre“ Haft von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zurückgenommen – nach heftiger Kritik verschiedener Menschenrechtsorganisationen und des UNHCR. Die Praxis sieht jedoch offenbar anders aus. „Immer wieder finden wir offensichtlich Minderjährige in den Gefängnissen. Manche sind illegalerweise inhaftiert und immer mehr sind auf dem Papier älter gemacht. Auch wenn sie zuvor bereits medizinische Alterfeststellungsverfahren hinter sich hatten, werden sie spätestens nach ihrer Abschiebung nach Ungarn mit hoher Wahrscheinlichkeit älter als 18 sein.“ sagt Marion Bayer vom Netzwerk Welcome to Europe.

 

Offenbar auf Druck der EU hatte Ungarn das Haftsystem für Flüchtlinge 2010 massiv verschärft. Zunächst wurden die Haftkapazitäten erhöht, danach die Haftdauer auf 12 Monate verlängert. Den gesamten Sommer über kam es zu massiven Protesten und Vorfällen in allen ungarischen „Detention-Centres“: zu Hungerstreiks und Selbstverletzungen und immer wieder zu Fällen von Polizeigewalt, wie das ungarische Helsinki Komitee aktuell berichtet. In Kiskunhalas, einem Gefängnis nahe der serbischen Grenze, brannte eine Etage im Zuge einer Revolte völlig aus. In Nyírbátor, unweit der ukrainischen Grenze, sollen Flüchtlinge regelmäßig mit Schlaftabletten ruhig gestellt werden. Nyírbátor und Kiskunhalas gelten unter den Flüchtlingen als die „Horrorknäste“ Ungarns.

 

Dass immer wieder Minderjährige unter diesen Bedingungen inhaftiert werden, ist ein besonderer Skandal und weder vereinbar mit den EU-Richtlinien für die Aufnahme von Asylbewerbern, der UN-Kinderrechtskonvention und der daraus resultierenden Verpflichtung zur Achtung des Kindeswohls.  „Dublin II ist nicht dafür da, das wir Ruhe finden!“ sagt Milad, 17 aus Afghanistan. „Sie schauen nur auf unsere Fingerabdrücke. Immer wieder im Knast landen und niemals ankommen – das macht auch die kaputt, die einmal stark waren.“

 

Kontakte:

Bundesfachverband für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge: info (at)b-umf.de

Welcome to Europe Netzwerk: contact(at)w2eu.net

 

Hintergrundinformationen:

– UNHCR-Budapest wies bereits 2010 in einer Untersuchung über anerkannte obdachlose Flüchtlinge auf die folgenschweren Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Ungarn hin, selbst existentielle Grundbedürfnisse sind nicht gesichert: UN High Commissioner for Refugees, Refugee Homelessness in Hungary, March 2010, http://www.unhcr.org/refworld/docid/4bb4b9ac2.html

 

– Aktuell erschien ein Bericht des Helsinki Komitee Ungarn über die Haftbedingungen in den Flüchtlingsgefängnissen: Hungarian Helsinki Committee, Immigration Detention in Hungary 2010, April 2011, http://helsinki.hu/dokumentum/HHC%20immigration%20detention_ENG_final.pdf

PDF-Versionen deutsch und englisch:

PM-Ungarn_web (als PDF-Datei)

Pressrelease Hungary DublinII (english version)

Anhang PM Ungarn (als PDF-Datei)

Annex Pressrelease Hungary DublinII (english version)

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