Warum Herr Sharif nach Großbritannien will, aber in Passau leben muss

Das Europäische Asylsystem, dessen Teil die Dublin II-Verordnung ist, setzt voraus, dass die Schutzstandards für Asylsuchende in allen Mitgliedsstaaten gleich sind – und dass es deshalb für die Flüchtlinge gleichgültig ist, in welchem Land ihr Antrag geprüft wird. Beides ist nicht der Fall. Historische Verbindungen zwischen Herkunfts- und Zufluchtstaaten, diplomatische Rücksichtnahmen ebenso wie die Angst, durch hohe Anerkennungszahlen zum Zielland zu werden, führen zu einer höchst unterschiedlichen Schutzgewährung. So wurden z.B. im Jahr 2007 mehr als 80% der tschetschenischen Flüchtlinge in Österreich anerkannt – in der Slowakei tendierte im gleichen Jahr die Anerkennungsquote gegen Null. Kein Wunder, dass Flüchtlinge versuchen, in der Slowakei die Registrierung zu vermeiden.

Aber auch subjektive Gründe sind maßgeblich für die Wahl des Ziellandes. Herr Sharif aus Somalia wurde im Juni 2009 auf dem Weg nach Großbritannien an der deutsch-dänischen Grenze aufgegriffen und wartet seitdem im bayerischen Passau auf die Entscheidung über seinen Asylantrag. In Großbritannien leben seine Ehefrau und zwei Kinder – als Flüchtlinge anerkannt. Zu ihnen wollte Herr Sharif. Das nach der Dublin II-Verordnung gestellte Übernahmeersuchen Deutschlands lehnte das britische Innenministerium mit der zynischen Begründung ab, die Eheschließung zwischen Herrn Sharif und seiner Frau sei nicht einwandfrei nachgewiesen. Kunststück. In Somalia existiert seit 1991 kein Staatswesen mehr.

Der 19-jährige Mehtab aus der westafghanischen Stadt Herat wurde nach der Entführung seines Bruders von seinen Eltern losgeschickt. Ziel der Reise ist Europa: konkret soll es nach Norwegen gehen. Dort lebt bereits Mehtabs Onkel und betreibt in einem Vorort von Oslo erfolgreich ein kleines Restaurant. Er soll Mehtab bei seinem Start in das neue Leben helfen, ihm Arbeit und Wohnung geben. Auf dem Weg hinterließ Mehtab in Griechenland seine Fingerabdrücke. Nach seiner Weiterreise mit dem Flugzeug nach München musste er am Flughafen einen Asylantrag stellen und mit anwaltlicher Hilfe gelang es, die Überstellung nach Griechenland zu verhindern. Mehtab lebt jetzt in einer Jugendhilfeeinrichtung in München und genießt Abschiebungsschutz. Er ist nicht unzufrieden mit der Situation – aber warum man in Deutschland viel Geld für seine Unterbringung und Ausbildung ausgibt, statt ihn zu seinem Onkel nach Norwegen gehen zu lassen, das versteht er bis heute nicht.

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