#3: August 2010

Liebe Leute,

ein paar Monate sind ins Land gegangen, seit wir unseren letzten Newsletter zur Dublin II-Kampagne verschickt haben. In der Zwischenzeit ist viel passiert, was für die Kampagne relevant ist: Es ist mittlerweile klar, dass die Ankündigungen der neuen griechischen Regierung, die Lage der Flüchtlinge in Griechenland zu verbessern, Makulatur sind. Von den vielen Initiativen ist bisher keine einzige umgesetzt worden, es ist auch kein Geld da, doch aufgrund der Wirtschaftskrise ist die Lage vieler MigrantInnen und Flüchtlinge noch prekärer geworden.

Im Juni und Juli 2010 wurde aus dem Netzwerk Welcome To Europe deswegen eine Recherche in Athen und Patras durchgeführt, um die derzeitige Situation rund um Dublin II zu dokumentieren. Der erschütternde Bericht „A Dublin II Deportation Diary“ ist gerade veröffentlicht worden, und das Netzwerk wird im August und September weitere Recherchereisen in Griechenland durchführen.

Auf der europäischen Ebene ist Dublin II mehr Thema denn je. Nachdem sich in den letzten Monaten viele höchste nationale Gerichte mit der Problematik befasst haben und oftmals Dublin II-Abschiebungen nach Griechenland aussetzten, sind nun sowohl der Europäische Gerichtshof als auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof angerufen worden. Damit sich der Blick nicht mehr ausschließlich auf Karlsruhe, auch wenn die dortige Entscheidung immer noch mit Spannung erwartet wird.

Gleichzeitig verhinderte Deutschland auf dem Treffen der EU-Justiz- und Innenminister Mitte Juli die Weiterentwicklung eines europäischen Asylsystems. Während der griechische Vize-Innenminister einmal mehr die Aussetzung von Dublin II forderte, blockierten sowohl die deutsche als auch die französische Regierung jeden Reformversuch. http://www.rp-online.de/…

In diesem Newletter: “Why did you want me back in Greece?” – A Dublin II Deportation Diary +++ Weitere Dokumentations- und Protestreisen +++ Unabhängige Informationen für Flüchtlinge +++ Dublin II vor Gericht +++ Berichte, Interviews & Artikel

“Why did you want me back in Greece?” – A Dublin II Deportation Diary
Im Juni und Juli 2010 hat das Netzwerk Welcome to Europe eine Dokumentationsreise nach Athen und Patras unternommen, um die gegenwärtige Lage der Flüchtlinge in Griechenland zu untersuchen. Unsere Erkenntnisse, die auf einer Vielzahl von Interviews aufbauen, sind schockierend und zutiefst verstörend. Auch wenn jede Geschichte von Flucht nach und innerhalb von Europe verschieden ist, halten wir zwei Haupterkenntnisse fest.

1. In Griechenland hat sich die Situation der Flüchtlinge verschlechtert, und dies trotz anderslautender Ankündigungen und Vorhaben der Regierung. Es gibt immer noch kein Sozialsystem für Flüchtlinge, das auch nur die lebensnotwendigsten Bedürfnisse befriedigen kann, während die Flüchtlinge von der wirtschaftlichen Krise umso stärker betroffen sind. Sie, die nie viel zum Leben hatten, sind nun in einer noch prekäreren Situation. Eine ansteigende ausländerfeindliche Stimmung und vermehrte Razzien durch die Polizei haben den Aufenthalt der Flüchtlinge noch schwieriger gemacht und das Risiko erhöht, lange und wiederholt in Haft genommen zu werden, und zwar immer noch unter den unmenschlichen Bedingungen, die vielmals dokumentiert worden sind. Währenddessen ist das griechische Asylsystem immer noch dysfunktional und existiert nur dem Namen nach.

2. Die Dublin II-Verordnung, auf der anderen Seite, zerstört jegliche Hoffnung der Flüchtlinge, den Bedingungen in Griechenland zu entkommen, indem sie sich in ein anderes europäisches Land begeben. Dort droht ihnen die Abschiebung per Dublin II. Dies führt zu Flüchtlingen, die oftmals jahrelang auf der Suche nach Schutz und Ruhe durch Europa irren, nur um letztendlich wieder nach Griechenland abgeschoben zu werden. Angesichts der gegenwärtigen Lage der Flüchtlinge in Griechenland warnen wir davor, dass die Menschenrechte der Flüchtlinge in Griechenland verletzt werden. Unter dieser Perspektive ist Dublin II eine systematische Verletzung des Non-Refoulement Prinzips der Genfer Flüchtlingskonvention und muss abgeschafft werden.

Der Bericht kann unter folgender Adresse heruntergeladen werden:
http://w2eu.net/…

Weitere Dokumentations und Protestreisen
Vom 27. August bis 11. September unternimmt das Netzwerk Welcome To Europe eine weitere Recherchereise nach Griechenland, um die Situation der dort ankommenden Flüchtlinge und MigrantInnen zu dokumentieren. Die Stationen unserer Reise sind die Inseln Samos und Lesbos.

Trotz massiver Kritik und erster Reformen ist die Situation der MigrantInnen in Griechenland immer noch katastrophal. Neuankömmlinge werden lange unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert. Illegale Zurückweisungen sind immer noch an der Tagesordnung und das marode Asylsystem bietet keine Chance auf ein faires Verfahren. Gleichzeitig schieben EU-Staaten wie Deutschland und Schweden gemäß der Dublin II-Verordnung weiter nach Griechenland ab, obwohl das Land mit der Aufnahme der Flüchtlinge völlig überfordert ist.

Seit letztem Herbst gibt es Ansätze einer Neuorientierung in der griechischen Asylpolitik. Es sollen eine eigenständige Asylbehörde sowie ein Netz moderner Haftanlagen geschaffen werden. Auf Samos steht eines dieser moderneren Haftzentren, doch es zeichnet sich bereits ab, dass dort nicht ein verbesserter Flüchtlingsschutz im Vordergrund steht, sondern lediglich die Beschleunigung von Abschiebungen. Auf Lesbos wird derweilen das Skandalgefängnis Pagani weiter betrieben, da es dem griechischen Staat nicht gelungen ist, eine neue Haftanstalt zu etablieren.

Das Netzwerk berichtet auf seinem Blog The Border is the the Problem über die Aktivitäten und Ergebnisse:
http://w2eu.net

Gleichzeitig werden Protestaktionen unter dem Motto Swarming Noborder stattfinden, zu denen das Netzwerk Welcome to Europe ebenfalls aufruft. http://w2eu.net/…

Seit Mitte August ist zudem das „Infomobil“ namens Chartino Karavi (gr. Papierschiff) in Griechenland unterwegs. Ausgerüstet mit unabhängigen Informationen für Flüchtlinge soll es die Situation entlang der zentralen Orte des Grenzregimes in Griechenland dokumentieren. Von der Landgrenze zur Türkei, über die ägäischen Inseln und schließlich über Athen zu den Häfen Patras und Igoumenitsa. Das Infomobil soll die betroffenen Flüchtlinge und MigrantInnen direkt unterstützen. Mittels Pressearbeit soll ihnen eine Stimme gegeben werden.

Unabhängige Informationen für Flüchtlinge
Nach der ersten Auflage 2009 ist gerade der neue Dublin II-Flyer erschienen. Er enthält kurze Informationen über Dublin II und die jeweilige Anwendung in den verschiedenen europäischen Ländern sowie Kontaktadressen. Damit richtet er sich vor allem als Hilfestellung an Flüchtlinge. Derzeit existiert eine englische Ausgabe, Übersetzungen ins Arabische, Französische, Farsi und Sorani werden bereitgestellt werden. http://w2eu.info/…

Der Dublin II-Flyer ist ein Projekt der Seite w2eu.info, die unabhängige Informationen für Flüchtlinge auf dem Weg nach und durch Europa bereitstellt. Die Seite fungiert auch als virtueller Anlaufpunkt für Flüchtlinge, der Beratungsstellen in ganz Europa vernetzt. Erste Erfolge sind, dass mehreren Flüchtlingen, die über die Seite Kontakt aufgenommen haben, AnwältInnen und Beratungsstellen vermittelt werden konnten, wodurch sie einer drohenden Dublin II-Abschiebung entgangen sind.

Dublin II vor Gericht
Ein Datum für die Grundsatzentscheidung am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist nach wie vor nicht in Sicht, zwischenzeitlich wurden aber in weiteren Eilentscheidungen Abschiebungen nach Griechenland ausgesetzt. Alle Entscheidungen sammelt asyl.net.

Am 1. September wird vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ein Hearing stattfinden, in dem es um eine Dublin II-Abschiebung von Belgien nach Griechenland geht. Das Urteil ist insofern von grundsätzlicher Bedeutung als in Strasbourg mittlerweile hunderte von Dublin II-Fällen anhängig sind. Verhandelt wird nicht allein über die Refoulement-Gefahren (Kettenabschiebungen) in Griechenland, sondern auch über unmenschliche Behandlung in Folge des Nichtzugangs zum Asylverfahren.

Gleichzeitig gerät Dublin II auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) unter Druck. Dort legen nationale Gerichte Fragen vor, die sich auch auf die asylrechtlichen Qualifikationsrichtlinien beziehen und z.B. die Frage nach Rechtsschutz thematisieren. Mit der Unterzeichung des Lissabon-Vertrags gilt nun die EU-Grundrechtecharta, und es sind am EuGH Entscheidungen zu erwarten, die zumindest den Eilrechtsschutz von Asylsuchenden stärken. http://www.irishtimes.com/…

Berichte, Interviews & Artikel

Dublin II means they play football with us, shooting us from one country to another, playing with us and wasting our time.

In vielen EU-Ländern kämpfen Flüchtlinge und MigrantInnen gegen die Dublin-II-Regelung, in regelrechten Odyseen fliehen sie vor der erneuten Abschiebeandrohung nach Griechenland. Milad, ein afghanischer junger Mann, der im letzten Jahr im Noborder-Camps auf Lesbos und in den Kämpfen im Flüchtlingsgefängnis Pagani beteiligt war, beschreibt in einem eindrucksvollen Interview, wie er mittlerweile via Ungarn und Norwegen in Schweden gestrandet ist und wie er und seine Freunde sich gegen die Abschiebungen wehren.
http://w2eu.net/…

Das erste Mal bin ich aus Eritrea geflohen. Das zweite Mal aus Malta. – Minderjährige Flüchtlinge auf der Weiterflucht in Europa”
Minderjährige, die sich innerhalb Europas auf der Weiterflucht befinden, sitzen häufig in der Falle von Altersfeststellung und Dublin-II-Verfahren. Wie das Alter bestimmt wird, wer in das Verfahren involviert ist, welche Konsequenzen voneinander abweichende Angaben haben und wo der unbegleitete minderjährige Flüchtling schließlich landet kann in einem Artikel von Maria Bethke und Dominik Bender nachgelesen werden.
http://www.hinterland-magazin.de/…

Greece: Irregular migrants and asylum-seekers routinely detained in substandard conditions. Amnesty International Bericht. http://www.amnesty.org/…

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